dzard SCHAPER - Der vierte König
Roland Schäfer liest gleich die Legende vom vierten König. Das ist jener unbekannte König, der nicht aus den Windschatten der Heiligen Drei Königen hinausgekommen ist.
Der Grund war seine enorme Verspätung.
Als die drei nämlich beim Stall zu Bethlehem ankamen, war er noch jahrelang unterwegs.
Ich selber war vierzehn Jahre als Pfarrer in Süditalien tätig und habe in der Zeit ebenfalls enorme Verspätungen angehäuft. Nach diesen Erfahrungen habe ich danach meinen Kollegen in Spandau auf ihr ständiges Einklagen von Pünktlichkeit geantwortet: Wer in unserem Beruf pünktlich ist, ist bestimmt irgendwo zu früh losgegangen.
Verspätung ist ein Zeichen von großer Menschlichkeit. Gehört zur Seelsorgekompetenz.
Gott kommt immer zu spät.
Denken Sie an Gottes Mühlen, von denen jeder weiß, wie langsam sie mahlen.
Denken Sie an den Messias.
Denken Sie ruhig auch an Schönefeld. Der Bau bekommt langsam eine Aura.
Das bedeutet auch, dass der, der wartet, dem später Kommenden keine Vorwürfe macht. Er gibt sich im Gegenteil größte Mühe, ihn willkommen zu heißen. Denn dieser ist trotz der verstrichenen Zeit noch gekommen.
Ich bin selber für mein Zuspätkommen sehr gesegnet worden. Dafür werde ich den Neapolitanern ewig dankbar sein. Einige von Ihnen kennen die Geschichte vielleicht. Ich erzähle sie aber gern noch einmal. Die Geschichte hilft mir, aus unserer Welt der Pünktlichkeit heraus zu finden um in die Welt des vierten Königs einzutreten.
Natürlich ist nicht jede Verspätung eine ehrenvolle Handlung. Jedes pünktliche Erscheinen schon gar nicht.
Nun mein Bericht aus der Welt des vierten Königs.
In seine Welt finden wir nicht allein. Wir brauchen dazu einen Musenführer. In diesem Fall ist es einer aus Avellino.
Avellino ist eine Stadt von circa 50 Tausend Einwohnern, 50 km östlich von Neapel gelegen. Im Jahre 1770 wurde die Stadt von einem mächtigen Vesuvausbruch verschüttet. Unter dem Schutt fand man bei Ausgrabungen Reste und von Häusern, Gerätschaften und vieles mehr. Das war natürlich im Jahr 1770 vor Christus. 1995,
3765 Jahre später, lud mich die deutsch-italienische akademischen Gesellschaft ein, den Festvortrag zur Eröffnung des Akademischen Jahres zu halten. Obgleich ich mit einem Zeitpuffer von 90 Minuten aus Neapel losgefahren war, kam ich doch 2 Stunden nach Veranstaltungsbeginn an der Festhalle an. Auf der Autobahn hatte es nicht einmal stop and go gegeben, nur stop. Alle Autoritäten der Stadt wollten kommen.
Mir war elend zu Mute.
Mir war speiübel.
Ich war schon oft zu spät gekommen, aber noch nie so, und noch nie in dieser Rolle. Die Geschichte lag noch in meiner handylose Zeit. Niemand war zu erreichen. Alle waren ja da.
Anschließend sollte es auch noch einen Galaempfang mit Festessen geben. Ein Polizist fuhr uns, meiner Frau und mir, zu dem Empfangshotel voraus.
Als wir in die Halle traten, erhoben sich die Gäste nach dem Prosecco um zu Tisch zu gehen. Der Veranstalter sah uns, eilte strahlend auf uns zu und rief: Wunderbar, dass Sie es doch noch zum Abendessen geschafft haben. Den Vortrag können wir jederzeit wiederholen. Aber das Essen nicht, das ist einfach zu teuer.
Ich könnte immer noch heulen vor Glück. Wenn mich einer fragt, wie ich mir die Himmelfahrt vorstelle, würde ich sagen: so.. Raus aus der Welt der Gerechtigkeit und Aufnahme in die Welt der Erlösung
Damit hoffe ich, Sie an den Rand der Welt des vierten Königs gebracht zu haben.
Es gibt sicher noch einen zweiten Grund, dass er vergessen wurde. Er war aus Russland. Als Repräsentant der vierten Himmelrichtung wäre er eigentlich unabdingbar gewesen. Aber die christlichen Erzählungen gaben sich mit nur drei Himmelsrichtungen zufrieden. Caspar. Melchior und Balthasar. Europa, Asien, Afrika. Oste, Süden, Westen. Russland fehlte.
Wir Christen haben da eine Macke ausgebildet. Seine Art Angst vor der Vier.
Das ist Ihnen sicher auch schon aufgefallen, dass sich christliche Rhetorik am liebsten in Dreierschritten bewegt: Glaube, Hoffnung, Liebe. Die Dialektik kommt aus der Trinität. In drei Schritten schaffen wir es einmal um die ganze Welt. Danach gibt es nichts mehr, was nicht von unseren Schritten berührt worden wäre.
Gestern wurde über Jesus als das Brot des Lebens gepredigt. Das klingt dann so, willkürlich aus der ersten greifbaren Predigt heraus gegriffen:
Unser täglich Brot gib uns heute.
Allerdings soll das nicht heißen, dass es nun täglich die knackige Mehrkorn-Schnitte geben soll, das Croissant oder das Schwarzbrot. 1 und 2 und 3. Dann haben wirs.
Klingt erst einmal vollständig, aber Weißbrot fehlt trotzdem. Es ist dann doch eine Zensur. Form der Verdrängung. So kam C.G.Jung auf die Jungfrau Maria als die vierte Person in der Trinität.
Und Russland kam auf die Legende des vierten Königs
Warum nun ausgerechnet ein norddeutscher Schriftsteller sich des vierten Königs annehmen musste, ist schwer zu begreifen.
Edzard Schaper wurde am 30. September 1908 in Ostrowo in der Nähe von Posen geboren und evangelisch erzogen. Sein Vater kam zwar aus Niedersachsen, seine Mutter aus dem Ostfriesischen. Norddeutsch durch und durch. Doch als Militär lag der Vater in der Garnison von Ostrowo.
Mit dem Ende des ersten Weltkriegs geriet der Vater in polnische Internierung, floh mit der Familie nach Glogau, als die Festung der Versailler Verträge gemäß geschleift wurde, zogen alle nach Hannover.
Das Gymnasium und die Musikschule verlässt er vor der Zeit. Mit sechzehn war er schon Regieassistent, Dramaturg, Inspizient, Schauspieler, Plakatankleber und alles übrige. In der trostlosen Verlassenheit einer westfälischen Kleinstadt mit 50 Mark Gehalt. Wir sind im Jahr 1924. Welche Stadt das war, sagt er nicht. Minden vielleicht. Oder Herford.
Er wird dann Regieassistent an der Stuttgarter Oper, bringt dort Barlachs Blauen Boll ans kleine Haus. Bald siedelt er auf die dänische Insel Christansö, klein und nördlich von Bornholm, Heimort für Schriftsteller: Martin Andersen Nexö und Hans Henny Jahnn. 2 Jahre, dann ist das Geld aus. In der Zeit hat er eine lange Reise durch Polen unternommen - auf den Spuren seiner Kindheit. Und ein riesiger Roman ist entstanden. Romain Rolland hat ihn gelobt, aber ihm wurde er peinlich und er bat seinen Verleger, in zurückziehen zu dürfen. Der Anfang des Romans war schon in den Druck gegangen.
Das Inselleben nimmt ein Ende
Schaper wird Gärtner, heuert auf einem Fischkutter an, kehrt aus Nordnorwegen zurück und siedelt in Estland. Er lernt seine spätere Frau Alice Pergelbaum kennen. Sie leben in Reval. Er schreibt: Romane und als Journalist für eine amerikanische Zeitschrift. Wir sind im Jahr 1932. Edzard Schaper ist 24 Jahre alt.
1936 wird Schaper aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Zwischenreichautor nennt ihn die Rosenbergkommission. Wie auch Wolfgang Weihrauch. Stefan Andres.
Die Verfolgung der Kirche durch die Sowjets hat ihn bestimmt, als Spion für Finnland tätig zu werden. Als die Sowjetunion zunächst Militärbasen in den baltischen Staaten einrichtet und den Einmarsch der Deutschen in Frankreich nutzt, die baltischen Staaten zu besetzen, flieht er mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Finnland.
Nach seiner Flucht nach Finnland verurteilte ihn die Sowjetunion als finnischen Spion zum Tode. In Finnland verurteilte ihn wiederum der deutsche Volksgerichtshof als russischen Spion zum Tode und erkannte ihm die deutsche Staatsbürgerschaft ab.
Edzard Schaper wurde Finne.
Mit dem Abkommen 1944 zwischen Finnland und der Sowjetunion drohte ihm die Auslieferung an die Sowjets. Die Finnen verhalfen ihm ohne die Sowjets in Kenntnis zu setzen zur Flucht nach Schweden..
Dort blieb er bis 1947. Das Interesse neuer Leser aus der Schweiz bestimmten ihn, nach Bern zu ziehen. Er wurde Schweizer Staatsbürger, katholisch und starb 1984.
Edzard Schaper erscheint als Prototyp des flüchtenden Schriftstellers durch viele Länder. Verjagt mit gutem Grund könnte man auch von ihm sagen. Aber etwas ist ganz anders.
Der Unterschied zu vielen andern Schicksalen ist von biblischer Dimension.
Jeremia redet zu den nach Babylon ins Exil Verschleppten: Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie zum Herrn: denn wenn' s ihr wohlgeht, so geht' s auch euch wohl. (Jer 29,7)
Beispiel für Integration.
Schaper zitiert in einer Art Autobiografie mit dem Titel Bürger in Zeit und Ewigkeit einen wohlwollenden Biografen, der von ihm sagt, er habe die Vertreibungen nicht nur erlitten, sondern er habe überall sein persönliches Schicksal mit jenen Ländern und Völkern identifiziert, in deren Bannkreis er geworfen worden sei.
Schaper: Ich glaube, das ist richtig, denn es gibt für den Landlosen eine sittliche Verpflichtung, sich den Gemeinschaft formenden Kräften anzuschließen. Deshalb habe ich mich zu dem Schicksal der Baltischen Staaten bekannt und ihr Schicksal geteilt.
Schaper sah in der Durchmischung von Ost- und Westeuropa in den baltischen Staaten, den historischen Versuch des Christentums, den Osten an den Westen an zu binden, dieses Osteuropa als eine Zone friedlicher Durchdringung zu erhalten. Erst das unchristliche Deutschland konnte es einem unchristlichen Sowjetreich fraglos überlassen und so zu seiner, Europas, Selbstverstümmelung beitragen.
In dem Roman "Der vierte König", nennt ein Klostervorsteher, ehe er beginnt, die Legende vom vierten König zu erzählen, den Verlust durch Verstümmelung. In dem Roman befinden wir uns im zweiten Weltkrieg.
Sagt der Abt: Hier (in Rußland) ist das Heil - und das Unheil, Gott weiß es, wenn die Menschen es nicht wissen sollten - noch viel näher bei den Menschen als anderswo. Hier ist Christus wie gestern geboren, und Judas hängt jeden Tag unter jedem Baum... Wenn sie so wollen, Herodes herrscht, und das Blut der unschuldigen Kinder Gottes fließt in Strömen, ja - aber der vierte von den heiligen Königen ist eben auch noch bei uns, vollendete er die verwirrend vieldeutige Auskunft lächelnd. Hier...hier , Sie sehen ihn."
Da saß er leibhaftig. Als Einbruch der Ewigkeit in die Zeit.