Predigt vom Sonntag Okuli 2019
Ev. Jeremia-Gemeinde, Berlin-Spandau
Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen.
Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Denn sooft ich rede, muss ich schreien; Frevel und Gewalt muss ich rufen. Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich.
Da dachte ich: ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen.. Aber es ward in meinem Herzen wie brennendes Feuer , in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich' s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Denn ich höre, wie viele heimlich reden: Schrecken ist um und um. Verklagt ihn. Wir wollen ihn verklagen. Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle. Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.
Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden.
Und nun, Herr Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich Deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen.
Singet dem Herrn, rühmet den Herrn, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften rettet.
(Der Prophet Jeremia 20, 7-13)
Liebe Gemeinde,
wer wissen will, wie dem Propheten Jeremia zu Mute war, der braucht nur auf unseren Innenhof zu gehen
Der Jeremia dort verrät sehr viel von der Stimmung des Propheten. Er steht da, in ein Joch geklemmt, gebeugt, unfrei, gedemütigt, gebrochen.
Man weiß auf den ersten Blick nicht einmal, unter wessen Joch er da geraten ist: ist es das eigene, ist es das der Menschen oder das Gottes?
Wir sehen nur: Der aufrechte Gang will nicht mehr gelingen.
Weil er ein Prophet Gottes ist.
Vom Bildhauer Waldemar Otto stammt die Skulptur. Sie steht an zwei verschiedenen Städten: eine größere in Chicago, in der University of Notre Dame, und die zweite, etwas kleinere, bei uns.
Waldemar Otto - so scheint es - lebt noch in Worpswede. Er ist jetzt 90 Jahre alt.
Dank einer guten Beziehung zu dem ersten Pfarrer dieser Gemeinde, Pfarrer Schurich, kam Jeremia auch zu uns.
Übrigens war ich sehr erstaunt zu sehen, dass es nicht möglich war, im Internet eine Spur von Pfarrer Schurich zu finden. Die EKBO hat kein Verzeichnis von allen ihren Pfarrern angelegt. Und auch der Wikipedia Eintrag zur Jeremia-Gemeinde nennt seinen Namen nicht. Nennt überhaupt keinen einzigen Namen eines Pfarrers, der dort tätig war.
Die Erinnerungskultur ist doch sehr, sehr schwach ausgeprägt.
Was älter als fünf Jahre ist - forget it.
Der Pfarrer Lauck, der in Chicago, den Bildhauer Otto nach seiner Beziehung zu den biblischen Gestalten befragte, erhielt nicht nur eine Antwort, die zum Propheten passte - Waldemar Otto sagte: sie lassen mich nicht los - sondern vermerkt als Stelle für die Jeremia Skulptur eben jenen Abschnitt, über den heute gepredigt werden soll.
Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen.
Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Prophet zu sein, können wir daraus lesen, ist nicht so sehr ein Kampf mit den Zeitgenossen, das ist es gewiss auch. Prophet sein ist in erster Linie ein Kampf mit Gott und ein Kampf gegen sich selbst.
Den Kampf hatte Jeremia angenommen, geführt und verloren.
Seine Niederlage hat ihn in schwerste Zweifel gestürzt.
Ob er das richtige Wort gesagt hatte.
Ob er nicht Gott verraten hatte
Oder schlimmer noch - ob Gott ihn nicht verraten hatte.
Jeremia war ein junger Mann, als er den Ruf hörte, Gottes Stimme unter den Menschen zu werden. Er hielt sich zwar für zu jung, aber Gott überredete ihn. Ich habe dich schon zum Propheten bestimmt, da warst du noch nicht geboren. Du wirst nicht um deine Zustimmung gefragt,
Eigentlich war Jeremia eine gesellige Natur. Einer, der gern mit seinen Freunden unter der Palme saß, trank und scherzte. Aber seine Reden vom kommenden Unheil, seine Bilder vom überkochenden Topf aus dem Norden, der sich über das Volk ergießen werde um alle zu verbrennen, zerstörten die Freundschaften.
Jeremia: Ich habe mich nicht zu den Fröhlichen gesellt noch mich mit ihnen gefreut, sondern saß einsam, gebeugt von deiner Hand, denn du hattest mich erfüllt mit Grimm.
Das Menschliche hast Du aus mir ausgetrieben.
Denn Gott untersagt ihm sogar, in ein Trauerhaus zu gehen, weder um zu klagen noch um zu trösten.
Die Begründung Gottes: Ich habe meinen Frieden von diesem Volk fortgenommen. Mein Volk hat meinen Bund gebrochen, so soll es verflucht sein, wenn es nicht umkehrt.
So isoliert Gott ihn immer stärker. Fröhlich möchte er sein, doch immer musste er Unheil schreien und Unglück rufen.
Jeremia ist heillos verstrickt und verstritten: Nicht nur mit seinem Volk. Darauf hat er wohl gerechnet. Aber er ist auch mit sich selbst verstritten, er lebt ganz gegen seine Natur. Selbstverwirklichung ist das genaue Gegenteil von dem, was Gott ihm lässt.
Seinen Freunden ist er fremd geworden.
Sich selber ist er fremd geworden.
Als er sich das Joch auflegt, um vor das Volk zu treten, da gab es nur noch Gott als Vertrauten. Der Herr ist bei mir wie ein starker Held. Sagt er noch, als er los geht.
Doch dann geschieht dies:
Jeremia tritt mit dieser Botschaft Gottes vor den König und das Volk. So sollt ihr tun. Unterwerft Euch dem Eroberer Nebukadnezar so werdet ihr Leben. Tragt das Joch des fremden Königs, so werdet ihr nicht umkommen. Glaubt nicht denen, die sagen, ihr werdet frei sein, wenn ihr Euch dem Nebukadnezar widersetzt.
Denn sie weissagen Euch Lüge.
Es gibt solche Leute. Die Sorglosen. Die sagen immer, ist halb so schlimm, passiert schon nichts. Der tut nix.
Glaubt dem Schwarzseher Jeremia nicht. Diejenigen von uns, die schon nach Babel ins Exil gebracht worden sind, werden zurückkehren. Und der Herr wird das Joch Babels über uns zerbrechen.
So reden seine Gegner.
Und die es hören, sollen nun entscheiden, wem sie folgen sollen.
Das ist gerade nicht anders.
Wir alle suchen nach dem Wahrheitskriterium.
Bei Jeremia kann man danach suchen.
Aber nicht jeder möchte bei ihm fündig werden.
Zunächst ist es das Joch, das man findet. Es soll allen vor Augen führen: unterwerft Euch dem König Nebukadnezar, dann werdet ihr verschont. Das ist die Botschaft des Herrn.
Einmal beiseite gesprochen: Suchet der Stadt Bestes - das stammt ebenfalls von Jeremia. Zu den Gefangenen in Babylon gesagt: Tut etwas für die Stadt, die Euch gefangen hält, dann wird es auch euch gut gehen. Das kann man jetzt allen sagen, die hier in Berlin angekommen sind. Tut etwas für die Stadt.
Und während er mit dem Joch auf dem Rücken vor Volk und König gebeugt hin- und herläuft, kommt sein Widersacher, der Sorglose, Hananja heißt er, nimmt das Joch von dessen Rücken und zerbricht es mit den Worten: So spricht der Herr. Ebenso will ich zerbrechen das Joch Nebukadnezars, des Königs von Babel, ehe zwei Jahre um sind und es vom Nacken aller Völker nehmen.
Und dann steht da noch: Und der Prophet Jeremia ging seines Weges.
Seht ihr, wie Jeremia sich davon schleicht?! Er ging seiner Wege ist wirklich gut gesagt. Er hatte ja gar keine Wege mehr. Er war in einer Sackgasse gelandet, er stand vor einem Abgrund, wenn er nicht schon hinabgestürzt war.
Der Gott, dem er vertraute, sein Fels, seine Burg, seine Zuflucht, hatte ihn verraten. In dem entscheidenden Augenblick hat der Herr den Triumph des Gegners zugelassen.
Aus diesem Augenblick heraus, in dem Jeremia davon trottet, verstehen wir alle seine Klagen: Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich.
Da dachte ich: ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen.. Aber es ward in meinem Herzen wie brennendes Feuer , in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich' s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Er kommt nicht los von Gott, doch bleiben kann er auch nicht. Aber er weiß, dass die anderen lügen, dass sie nicht das Wort Gottes haben.
Vielleicht liegt da der Grund, dass dieser Abschnitt so getrost ausklingt
Singet dem Herrn, rühmet den Herrn, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften rettet.
In meinen Augen ist das Prophetische an Jeremia, dass er seine klägliche Niederlage nicht auch als die definitive Niederlage Gottes behauptet. Er sagt nicht: wenn ich verloren haben, dann musst du auch verloren haben.
Bei aller Heftigkeit behauptet er nicht, dass sein Schicksal und auch das Schicksal Gottes sei.
Ginge Jeremia mit sich und seinem Gott sanfter um, nachsichtiger vielleicht, dann hätten wir eine Chance ihm näher zu kommen. Aber so, in seiner schonungslosen Offenheit, bleibt er eine strahlend dunkle Gestalt.
Von der ich mich jetzt noch nicht verabschieden will. Ich will mich nur ganz kurz unserer Gegenwart zuwenden.
Propheten haben wir gerade genug. Die Drohenden und die Sorglosen - alle sind sie präsent: von Untergang bis Auferstehung ist jede Art Botschaft vertreten. Mal sind die Flüchtlinge ein Segen, für andere ein Fluch, der Islam bringt uns mal die Toleranz mal das Verderben.
Als Gott ihn zum Propheten berief, war er vielleicht so alt wie die älteren Freitagsdemonstranten heute. Aber sein Prophetisches Dasein an einen schulfreien Tag zu knüpfen war Jeremia gänzlich fremd. Das macht die Sache einfach verdächtig.
Und Greta, Prophetin im Alter des Jeremia, hatte die Idee zu meinen: unter der Drohung des Klimawandels und der Umweltbelastung könnte die Atomenergie eine gewisse Hilfestellung geben.
Der Aufschrei ihrer follower hat sie aber bestimmt, ihre positivere Einschätzung der Atomenergie zu korrigieren.
Wo ist der Unterschied?
In dem Nicht-anders-Können
und
in dem Es-war-ja nur-so eine-Idee!
Das sind zwei sehr weit voneinander entfernte Welten.
Die zweite Welt ist am meisten bevölkert. Da sind tolle Leute.
Gestern gab es einen Doppelfilm über ein Genie unter deren Bewohner. Auf Arte.
Bertolt Brecht.
Ein Verführer und eine Hebamme, wie sie in keinem Buche stehen. Er konnte die Menschen verzaubern und knechten - besonders die Frauen, dass sie und man als Zuschauer Tränen lachte. Lachen und Weinen gleichzeitig - meine ich.
Zum eigentlichen Bewohner der zweiten Welt machte ihn aber seine Fähigkeit, keine Stellung zu beziehen.
Unter den Geschichten von Herrn Keuner, eigentlich Herr Keiner, damit er nicht erkannt wird, erzählt er auch diese: Zu Herrn Egge - eigentlich Herr Ecke, aber mit einem weichen G, damit sich niemand dran stößt - kommt ein Abgesandter der Gewalt, nimmt Quartier und fragt: Wirst Du mir dienen?
Herr Egge antwortet nicht. Aber er dient ihm sieben Jahr. Dann ist der Abgesandte der Gewalt so fett geworden, dass er stirbt. Da rollt ihn Herr Egge in einen Teppich, wirft ihn aus dem Fenster und sagt: Nein.
Das war Brechts Lebensmotto: Der Weise übersteht den Sturm in seiner kleinsten Größe.
Das taugt als Überlebenstechnik, aber ist kein Kennzeichen eines Propheten.
Dietrich Bonhoeffer trug hingegen so ein Zeichen. Von der Machtergreifung an herrschte im Hause Bonhoeffer die feste Meinung, dass Hitler an der Macht Krieg bedeuten würde. Schon 1932 hatte Bonhoeffer in einer Predigt gesagt:
Dann müssen wir uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo Märtyrerblut gefordert werden wird. Aber dieses Blut, wenn wir denn wirklich noch den Mut und die Ehre und die Treue haben, es zu vergießen, wird nicht so unschuldig und leuchtend sein wie jenes der ersten Zeugen. Auf unserem Blute läge große eigene Schuld: Die Schuld des unnützen Knechtes, der hinausgeworfen wird in die Finsternis
Aber das war alles erst jugendliches Meinen. Erst, als er im Juni 1939 in die USA reiste und man ihm dort eine Professur anbot, damit er den Verfolgungen durch seine deutschen Landsleute entginge - da galt es für Bonhoeffer, eine Entscheidung zu treffen. Bonhoeffer schlug das Angebot aus und reiste zurück nach Deutschland, wissend, dass dies seinen Tod bedeuten könnte.
Heute erkennen wir: Er hatte eine Botschaft, die ganz eng mit seinem Leben und Tod verbunden war. Aber es war keine Botschaft, die mit seinem Leben zusammenfiel.
Ein Prophet scheint jemand zu sein, der durch sein Leben und seinen Tod die Botschaft Gottes nicht begrenzt.
Jeremia entging öfter dem Tod durch seine Feinde. Seine Spur verliert sich auf den Wüstenwegen nach Ägypten, auf die man ihn verschleppt hatte.
Zuvor hatte ihn sein König in einen tiefen Brunnen werfen lassen. Darin wäre er bestimmt verhungert und verdurstet, wären seine Freunde nicht in eine Lumpenkammer eingedrungen. Aus den Lumpen banden sie ein Rettungsseil und zogen Jeremia ans Licht.
Von Art der Lumpen ist alles, was uns am Leben hält, aber wir warten auf das strahlende Licht unserer Erlösung.
Amen.