Predigt 1. Korinther 4, 1-5 vom 3. Advent 2021 in der Zufluchtkirche, Berlin-Spandau
Predigttext
Dafür halte uns jedermann: Für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse
Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater, und unserem Herrn und Heiland, Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde, der Wochenspruch, den die Gemeinde zu Beginn des Gottesdienstes vernimmt, ist im Vergleich zu den übrigen ehrwürdigen Stücken jung, noch nicht einmal einhundert Jahre alt. Ich möchte mal sagen: Seiner Tendenz nach hängt er sein Mäntelchen nach dem Winde. Denn er hat die Aufgabe, auf die Stimmung im Lande zu antworten, auch Eindruck zu machen. Er wird dazu bisweilen aus verschiedenen Bibelstellen zusammengebastelt. Zettelkasten eben.
Die Kirche ist schwach – der Herr kommt gewaltig.
Der Predigttext für heute hingegen steht so als Epistellesung schon in Luthers Adventspostille, nun schon 500 Jahre an seiner Stelle.
Alle Jahre wieder.
Wiederholung ist in jeder Hinsicht das Stichwort unserer Gottesdienste
Wiederholen, um der Gegenwart Gottes, dem Neuen unter uns, immer wieder Raum zu geben. Wiederholen um des Augenblicks willen. Wiederholung als Erneuerung. Wenn bei Paulus von den Geheimnissen Gottes gesprochen wird. Dies ist eines davon. Wiederholung als Erneuerung.
Das ist eine ganz andere Art als unsere ständiges „Nie wieder!“ . Die zielt zielt gerade darauf ab, dass sich etwas nicht wiederholt.
Von beider Art der Wiederholung hat die Erinnerung, in die ich Sie jetzt gleich mitnehmen möchte. Sie bezieht sich auf den Schriftsteller und Liederdichter Jochen Klepper, dessen Todestag sich gerade zum 79. mal wiederholt hat. Sein Lied haben wir soeben auf der Orgel gehört, seinen Text haben wir vielleicht mit unserer inneren Stimme mitgesungen – teilweise.
Ich lese das Lied einmal ganz.
In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember, zwei Tage vor dem dritten Advent ist der Dichter einiger unserer schönsten Kirchenlieder gestorben. Er wurde nur 39 Jahre alt.
Aber so kann ich das Ereignis nicht wiedergeben.
Sondern: Er hat sich zusammen mit seiner Frau Hannie und seiner Tochter, Renate, genannt Renerle, das Leben genommen.
Der Grund: seine Frau und seine Tochter waren Jüdinnen. Damals in unserem Deutschland eine tödliche Eigenschaft. Auch wenn, wie hier, seine Frau Christin geworden war. Die Deutschen an der Macht hatten ihm angeboten, sich von ihr scheiden zu lassen, dann wären nur seine Frau und seine Tochter deportiert u nd ermordet worden. Er, als ehemaliger Mann einer Jüdin, wäre davon gekommen. Er hätte nichts mehr zu leiden gehabt, außer seine Frau und Tochter verraten zu haben.
So haben alle drei über Monate den Tod in sich getragen, sehend wie um sie herum alle ihre jüdischen Freunde verschwanden, einer nach dem anderen. Eine Tochter hatten sie nach England gebracht. Die Schweden hätten auh die Tochter aufgenommen, und vielleicht auch seine Frau Hannie. Aber im entscheidenden Gespräch am 10. Dezember, zwei Wochen vor Weihnachten, hat Adolf Eichmann ihr die Ausreise verweigert und damit die Deportation der beiden Frauen eingeleitet.
Jochen Klepper hat immer um das Eingreifen Jesu gerungen. Einmal schreibt er in seinem Tagebuch, das hat den bekannten aber so unvollständigen Titel„Unter dem Schatten deiner Flügel“ Vollständig lautet er „Unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis dass das Unglück vorüber gehe“: Aber Jesus, so formuliert Klepper, griff nicht in die Welt hinein, sondern die Welt war Welt, die Welt ist nur Welt und wir bleiben ganz der Welt überlassen.
Andere Herren kamen gewalltig gewaltsam . Der Herr nicht.
Wenige Wochen zuvor hatten er und seine Frau während einer Fahrt in Nürnberg die gotische Skulptur eines segnenden Christus erstanden. Er war inzwischen bei Ihnen zu Hause angekommen.
In seiner letzten Tagebucheintragung schreibt Jochen Klepper: Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst,
Wir sterben nun, - ach, auch das steht bei Gott -
Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod.
Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.
Christus, der um uns ringt und unterliegt.
Wie hält sich jemand, unter dieser Bedrohung bei Tag und in der Nacht, an Christus? Es fällt auf, das Jochen Klepper, der zu jedem Tag einen biblischen Vers setzt, fast ausschließlich Stellen aus der hebräischen Bibel wählt. Er weiß sich jetzt dem verfolgten jüdischen Volk ganz nahe. Es ist die Welt voller Verfolgung – aber ohne den Segen Gottes.
Das Kreuz blieb aufgerichtet
Klepper weiß, dass es so ist, und benennt so die geistliche Situation seiner Familie: Hanni (seine Frau) und ich wissen doch nun, wie furchtbar man noch einmal an Gott verzweifeln mußte – aber wir können nicht zweifeln, können vom Glauben nicht los, nachdem er doch so schmerzhaft in uns geschieden ist von irdischer Hoffnung (1124)
Den Glauben nicht lassen, wenn er auch noch so sehr von der irdischen Hoffnung geschieden ist.
Und die irdische Hoffnung nicht ineinssetzen mit dem Glauben.
Die irdische Hoffnung nicht identifizieren mit dem Glauben - sind das jetzt die Geheimnisse Gottes, über die er uns zu Haushaltern gemacht hat? Dass Gott in uns nicht untergeht, wenn unsere Pläne und Hoffnungen scheitern?
Denn Christus der Retter rettet, obgleich er schwach ist. Und wir sind nicht stärker als er.
Pläne und Hoffnungen können ja durchaus scheitern, gerade die großen, gerade die unbedingt zu erfüllenden.
Auch wir Deutschen in der Nazizeit hatten große Pläne: Herrschaft über Europa, Vernichtung des europäischen Judentums, die reine germanische Rasse. Als die Pläne und der germanische Glaube zerbrachen begingen ganze Dörfer Selbstmord.
Wenn Pläne Hoffnung und Glaube hoffnungslos in einander verkettet sind, ist mit dem Glauben auch das Leben in großer Gefahr.
Wie zum Beispiel die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad.
Das ist jetzt das erklärte Ziel. Aber was ist, wenn die Menschheit daran scheitert, wenn das Ziel um ein Grad oder zwei Grad verfehlt würde, wenn unserer ganze junge Generation enttäuscht würde?
Das darf eben nicht passieren. Ja eben, Dinge die nicht passieren dürfen, sind besonders gefährlich.
Bräche dann nicht alles ein: Erde, Welt Schöpfung, Schöpfer, der Glaube an den Menschen und sein Können und verfiele nicht eine ganze Generation in Depression?
Nicht alles auf eine Karte setzen.
Der Apostel Paulus vermittelt uns den Eindruck, dass auch Gott nicht alles auf eine Karte setzt, denn er spricht von den Geheimnissen Gottes im Plural. Er verbirgt mehr als nur ein einziges Geheimnis vor uns. Und wenn wir heute hören, es gäbe nur einen einzigen Weg der Rettung, so ist das wie ein Verrat an den Geheimnissen Gottes durch seine Haushalter. Durch uns.
Wie ist denn die Art des Haushalters über die Geheimnisse Gottes?
Dass er Dinge bewahrt, auch wenn er sie nicht vollkommen versteht.
Von denen er ahnt oder weiß, dass sie göttlich sind, aber nicht, was sie bedeuten. Wie zum Beispiel unser „Alle Jahre wieder“ zu Weihnachten.
Das Geheimnis der Wiederholung, wird gerade durch die Forderung verraten „Öfter mal was Neues“.
Das Geheimnis sollen wir auch in dem Neuen bewahren.
Ich möchte damit unsere Aufmerksamkeit auf uns als Gemeinde richten.
Über die Vorgänge in und um die zukünftige Gestalt des Gemeinde bin ich nicht sehr gut im Bilde. Aber es könnte ja sein, dass wir im nächsten Advent nicht mehr in dieser Kirche feiern werden. Man ist ja vorsichtig geworden mit seinen Erwartungen.
Auch wenn jeder einsehen wird, dass eine klein gewordene Gemeinde nicht zwei Gotteshäuser unerhalten kann, werden wir das Gefühl der Untreue damit los.
Dazu kommt: Als Gemeinde werden wir auch nicht einfach in unsere vertraute Kirche zurückkehren. Nicht weil zu zwischendurch abgebrannt ist. Sondern: Die sollte ja dann umgebaut werden: Der Raum ist nun schlanker, dadurch wirkt er plötzlich viel höher, weniger grün und naturnahe. Statt Schnee auf den Rhododendron oder violette Blüten hinter den großen Scheiben auf der linken Seite sehen wir dann in Büros oder auf deren Vorhänge.
Dieses Alle Jahre wieder wird die Gemeinde vor ganz neue und andere Herausforderung stellen, als sie bisher schon kannte. Doch das bleibt: Die Geheimnisse Gottes bewahren.
Gott ist der, zu dem wir in jedem Gottesdienst hinblickten, wie hier in der Kirche.
Der Architekt Bodo Fleischer hat diesen Kirchraum abfallend wie ein Kino oder ein Theater angelegt. Wir alle sind auf dem Weg zum Altar hin, zur Kanzel und zum Taufbecken hin.
Der Raum trägt uns gleichsam Christus und seinem Werk zu – Taufe und Kreuzigung und Auferstehung in der Predigt.
Aber die Altarwand ist wie ein Prellbock.Sie hat etwas Undurchdringliches.
Als ob sich Gott in sein Geheimnis zurückzöge.
Und er hat viel Freiheit nach oben. Unser Blick wird zurückgeworfen und noch oben gelenkt. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.
Nicht Solidarität – sondern Andacht und Anbetung ist hier einzig angemessen.
Das gilt auch für den anderen schönen Kirchbau, in den die Gemeinde im kommenden Jahr hoffentlich zurückziehen kann: Ich meine die schöne Glasaltarwand, die einern verschleierten Blick auf den dahinterstehenden Walnusbaum gestattet. Naturverliebt wie heute sind, möchten wir meinen, dass Fenster sei dazu da, die grüne Natur der Zweige und die blaue Natur des Himmels in den Kirchraum zu lassen. Das ist sicher so gewollt, wie der Rhododendron in dem früheren Wintergarten der Kirche. Aber die Schlieren in dem Glas sind auch Ausdruck des Geheimnis Gottes, seiner verborgenen Offenbarung unter uns. Gott ist nicht einfach Natur, nicht der bloße Blick auf unseren Nußbaum.
Kirchen haben klare Fensterscheiben nur in Folge von Krieg oder Brandt. Denn Gott ist offenbar und zugleich verborgen. Er ist auch immer im Geheimnis.
Darin besteht gerade das Alle Jahre wieder: das Kommen Gottes zu den Menschen als das Geheimnis Gottes zu schützen.
Die Macht Gottes ist groß aber verborgen. In Christus ist sie sichtbar, aber schwach. In Christus, der um uns ringt. Am Kreuz und immer wieder neu.
Amen